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Drive now

# Wie man in Zeiten der Digitalisierung im Driver Seat bleibt

Womit wir zum Abschluss unseres gemeinsamen Werkes kommen und der Frage, wie man vom Hier und Jetzt zu einem Zustand der agilen Souveränität kommt?

Auch wir kennen selbstverständlich keinen exakten Fahrplan, der automatisch eine gelingende kulturelle Transformation in Zeiten der Digitalisierung ermöglichen würde. Jedes Unternehmen ist anders, jede Führungskraft ist es erst recht.

Und dennoch gibt es einige Orientierungsachsen, die einen digitalen Transformationserfolg aus unserer Sicht wahrscheinlicher machen und die es einem als Führungskraft ermöglichen, im „Driver Seat“ zu bleiben und ein proaktives Managen der Veränderungsprozesse im „Hier und Jetzt“ (now) zu ermöglichen.

1. Selbstkritische Analyse/Bestandsaufnahme

Am Anfang des Prozesses sollte immer eine selbstkritische Analyse der eigenen Ist-Situation stehen: Was für Risiken, aber auch Potenziale bietet die Digitalisierung für mich und mein Team ganz persönlich? Wie bereit bin ich für notwendige Veränderungen, welche die Digitalisierung von mir verlangt? Wo stehe ich heute in dieser Hinsicht mit meinem Unternehmen, meinem Team, meiner Abteilung nicht nur in transaktionaler Hinsicht, sondern auch in transformationaler Hinsicht? Was muss ich tun, um hier voranzukommen?

2. Entwicklung einer klaren Digitalisierungsvision

Ein zweiter wichtiger, darauf aufbauender Schritt, ist die Entwicklung eines klaren Digitalisierungsleitbildes. Wo will ich hin? Was will ich mit der Digitalisierung wirklich erreichen (für mich, mein Unternehmen, meine Kunden, meine Mitarbeiter)? Vor allem aber auch: Was sind die Dinge, die nicht nur mich als Führungskraft, sondern auch meine Mitarbeiter, Kollegen, Geschäftspartner, meine Kunden im Kontext der Digitalisierung bewegen? Wie entwickeln wir eine gemeinsame Agenda im Unternehmen? Wie schaffe ich es möglichst gut, dass nicht nur ich selbst, sondern auch meine Mitarbeiter, Chefs, Gesellschafter und alle sonstigen Stakeholder sich mit dieser Agenda konnektieren?

3. Gestaltung eines effizienten Umsetzungsprozesses

Ein dritter wichtiger Schritt ist die Sicherstellung eines effizienten Umsetzungsprozesses. Wie stelle ich sicher, dass das eigene Digitalisierungsleitbild, die eigene Digitalisierungsstrategie im Unternehmen auch wirklich effizient umgesetzt werden? Wie gehe ich mit Konflikten um? Wie verhindere ich, dass daraus ernsthafte Friktionen werden, die den Digitalisierungserfolg nachhaltig lähmen? All diese Fragen gilt es proaktiv zu beantworten. Und sich dabei auch Beistand von außen zu holen.

„Neben Kapitänen sind für eine erfolgreiche digitale Transformation auch die richtigen Lotsen notwendig.“ d.lead

Komplizierte Transformationsprozesse brauchen „Begleitung“. Sie sind keine Quick Wins. Sie erfordern neben starken Kapitänen, und Kapitäninnen auch Lotsen, die es gewohnt sind, Teams durch unruhige Fahrwasser zu begleiten.

4. Wirkliche Führungsverantwortung übernehmen

In Zeiten der Digitalisierung ist nicht weniger, sondern mehr Leadership gefragt. Allerdings eine andere Form der Leadership, die tatsächlich offener, selbstkritischer, agiler ist, ohne dabei an Souveränität einzubüßen. Wer so führen will, muss häufig zunächst einmal die bisherigen Verhaltens- und Führungsmuster kritisch hinterfragen und ändern, sonst kann die Transformation nicht gelingen.

5. Jetzt beginnen

Der vielleicht wichtigste Aspekt einer neuen Führung in Zeiten der Digitalisierung besteht darin, damit nicht länger zu warten, sondern JETZT zu beginnen. Es geht nicht darum, auf den richtigen Zeitpunkt für eine Transformation zu warten, denn den gibt es sowieso nicht. Und auch einen sofortigen Erfolg bei Transformationsprozessen zu erwarten, ist falsch. Was man gerade von der Digitalisierung lernen kann, ist, dass „Trial and Error“ mitunter besser ist, als so mancher nicht enden wollende Analyse- und Strategieprozess.

Das bedeutet keineswegs die Abwesenheit jedweder Form von gesunder Überlegung. Diese ist allemal besser, als so mancher digitale Aktionismus. Es geht allerdings darum, deutlich rascher und agiler in den eigenen Überlegungen zu sein, erste Handlungspläne zu entwickeln und dann unterwegs schauen, was bewährt sich und was nicht. Fehler zuzulassen, auch bei einem selbst, zählt daher zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine gelingende Führung in digitalen Zeiten.

Führungskräfte, die mit solchen Veränderungen zu lange warten, werden immer häufiger von „young digital radicals“ ersetzt. Die bleiben dann zwar oft nicht lange auf ihren Positionen, weil sie es entweder selbst schwer haben, sich mit den bestehenden Kulturen in etablierten Unternehmen zu konnektieren, weil ihnen zu viele Hindernisse bei der digitalen Transformation in den Weg gelegt werden oder aber auch, weil ihnen die wichtigen analogen Fähigkeiten fehlen, die Führungskräfte auch in digitalen Zeiten immer noch brauchen. Der einmal geschassten Führungskraft nützt das dann aber meistens wenig. Sie gehört schnell zum alten Eisen, obwohl ihre analogen Eigenschaften durchaus hilfreich für das Unternehmen gewesen wären.

Abb. 17: Ein Selbstcheck in fünf Punkten: Wie „digital ready“ sind Sie wirklich?

# Der hybride Manager

Weder „junge Verrückte“ noch „altgediente Hasen“ sind es also, die sich, wie das Handelsblatt 2015 schrieb, als Vorbild für die ideale Führungskraft von morgen eignen.

Man braucht vermutlich eher eine Hybridlösung aus beidem.

„CEOs are having to become hybrid leaders who can successfully run the business of today while creating the business of tomorrow.“ PwC 17th Annual Global CEO Survey 2014

Was uns am Leitbild des hybriden Managers allerdings stört, ist der Eindruck der Gespaltenheit. Es geht bei dem richtigen Führungsstil von morgen ja nicht einfach nur um das kreative Hin- und Her-Switchen zwischen einem eher autoritären Führungsstil in bestimmten Situationen und einem libertären teamorientierten Stil in anderen Situation.

Vielmehr geht es um eine bewusste Überwindung dieser Spaltung im Sinne eines „Blending“ dieser beiden „Leadership Styles“. Genau das haben wir mit dem in Kapitel 11 beschriebenen Leitbild der „agilen Souveränität“ gemeint.

# Neue Trainer braucht das Land

Sucht man nach einem konkreten Vorbild für so einen agil souveränen Führungsstil, so findet man dieses beispielsweise im Sport im Führungsverhalten vieler erfolgreicher Trainer und Coaches.

Erinnern Sie sich noch an den typischen Fußballtrainer der 1970er-Jahre, der von seiner Mannschaft „Blut, Schweiß und Tränen“ forderte und diese bei jeder kleinsten Gelegenheit zusammenstauchte? Von dem Verhalten war so manche Führungskraft in der Vergangenheit nicht weit entfernt.

Moderne Trainer agieren hier deutlich anders. Sie verstehen sich zu allererst als Motivatoren. Auch haben sie verstanden, dass eine Mannschaft nur gut ist, wenn die individuellen Stärken mit dem richtigen Teamgeist vereint werden. Auch setzen diese Trainer in ihrer Arbeit mehr und mehr digitale Tools ein – z.B. für die Spielanalyse – ohne dabei jedoch zu vergessen, dass das reale Spiel immer noch analog auf dem Platz gewonnen werden muss, nicht am Computer.

„Ich habe nullkommanull Tendenzen, meinen Einfluss auf die Geschichte zu überschätzen. Ich empfinde es als meine Aufgabe, den Jungs den Raum zu geben, sich entfalten zu können, und für eine Atmosphäre zu sorgen, in der sich Leistungsbereitschaft lohnt.“ Jürgen Klopp, Fußballtrainer

# Die Fähigkeit loszulassen

Genau hierin besteht eine Kernherausforderung spätmodernen Managements: das „loslassen können“. Genau das fällt im digitalen Zeitalter immer schwerer. Da in den digitalen Wirtschaftswelten immer mehr immer häufiger passiert und immer mehr Daten verfügbar sind, die ein scheinbar sofortiges Reagieren notwendig machen, agieren viele Führungskräfte immer hyperaktiver.

Eine Konsequenz daraus ist, dass Unternehmen übergriffiger gewordenen sind. Chefs, die immer und überall eingreifen, ständig aktiv und fordernd sind, so sieht die Realität in vielen Unternehmen heute aus.

Der Unternehmensberater und Coach Reinhard Sprenger verlangt daher, dass Unternehmen wieder zu einer Kultur des „Loslassens“ und zu „mehr Anstand durch Abstand“ zurückkehren. „Gelassen etwas zu unterlassen“, darin sieht er die Lösung für viele Führungsprobleme in den Unternehmen von heute:

„Im Management kommt ja immer etwas hinzu. Kaum jemand sagt einmal: ‚Das machen wir nicht mehr.’ Das wäre aber klug. Führungskräfte sollten alles lassen, was vom Primären wegführt, was Kundenablenkungsenergie erzeugt, was Mitarbeiter einer Erniedrigungsbürokratie unterwirft.

Wer will, dass die Mitarbeiter kreativer sind, muss den Rechtfertigungsdruck zurückfahren. Wer unternehmerisch handelnde Mitarbeiter will, der nimmt alles weg, was sie zu Untergebenen macht. Wer Leistungsträger will, lässt alles weg, was sie auf Zuträger reduziert. Wer Führende will, unterlässt alles, was sie zu bloß Ausführenden macht.“

Auch Petra Martin, die bei Bosch Automotive Electronics für die Entwicklung von Führungskräfteprogrammen zuständig ist, hält „loslassen können“ für eine Kernkompetenz von Führungskräften:

„Ein wichtiges Ziel von Führung bedeutet für mich: bei anderen und bei mir selbst das Beste zum Vorschein zu bringen. Dabei ist ‚Loslassenkönnen’ eine Kernkompetenz. Entwicklung kann nur dort stattfinden, wo Raum gelassen wird. Das gilt im Management genauso wie bei der Erziehung von Kindern.“

„Loslassenkönnen ist eine Kernkompetenz.“ Petra Martin, Bosch Führungskräfteentwicklung

Auf die Frage, warum dies vielen Führungskräften so schwerfällt, hat sie eine klare Antwort:

„Dafür gibt es viele Gründe. Einer ist sicher, dass es nun mal Menschen gibt, die gerne alles unter Kontrolle haben. Perfektionisten gehören dazu. Diese Menschen tun sich schwerer damit, Vertrauen zu schenken oder loszulassen. Ich finde das anstrengend.“

Gerade in diesem Plädoyer für eine Kultur des stärkeren Unterlassens, sich Zurücknehmens, des Schaffens von Freiräumen, des Dienens statt Herrschens und der Konzentration auf die wirklich wichtigen großen Achsen und zwischenmenschlichen Themen liegt die große Stärke einer agil souveränen Führung, wie wir sie verstehen.

Damit verändert sich jedoch auch die Rolle von „Leadern“ in Unternehmen, wie jüngst der ehemalige McKinsey Berater Frederic Laloux in einem Interview mit der Fachzeitschrift „evolve“ festgestellt hat:

„In diesen neuen Unternehmensstrukturen ist die Rolle der Leader anders als in den heutigen Strukturen: Sie sind unwichtiger und wichtiger zugleich. Nicht alle Fäden laufen bei ihnen zusammen, sie sind im System viel leichter wegzudenken, weil das System auf mehr Personen ruht, als nur auf der einen Spitze. Die Führungskräfte haben weniger Macht, sie können nicht mehr alles allein entscheiden, sondern sie müssen die Prozesse der kollektiven Intelligenz mittragen und sich daran beteiligen.

Aber gleichzeitig kommt eine ganz neue Rolle hinzu: Wenn diese neuen Prozesse implementiert werden, müssen die Führungskräfte ständig den Raum schaffen und wahren, damit diese Praktiken ihren Platz finden. Denn oft kommt die Reaktion: ‚Hey, das geht doch nicht, das ist verrückt, das ist ein viel zu großes Risiko. Wir brauchen doch Strukturen und Hierarchien’. Sobald etwas falsch läuft, wollen die Leute sofort wieder Regeln einführen. Die Rolle der Führungskräfte liegt also weniger auf der Ebene von Strategie und Entscheidung, sondern auf systemischer Ebene.“

Wichtiges Element einer solchen neuen Führungsrolle ist es, Angst durch Vertrauen zu ersetzen, ein Zusammenhang, den wir in diesem Werk in Kapitel 8 („Transformation des Innen“) bereits ausführlich erörtert haben.

„Typisch für den Wandel zu evolutionären Organisationen, wie ich es nenne, ist der Übergang von Angst zu Vertrauen (...). Dieser Übergang spiegelt sich in den neuen Strukturen wider. Von Strukturen, die auf Angst, Kontrolle und Überwachung beruhen, geht man über zu Strukturen, die auf Möglichkeiten, Entfaltung und Offenheit basieren.

Für Führungskräfte stellt sich dabei die Frage, wie sehr sie ihr Ego im Griff haben, wie angstfrei sie generell sind und wie viel ‚Kontrolle’ sie bereit sind aufzugeben. Vorher konnte man Zielvorgaben machen und Aufgaben verteilen, jetzt ist die Kontrolle systemisch, sie liegt im System selbst.

Es sind sich selbst korrigierende Systeme, die in gewissem Sinne weitaus mehr Kontrolle ermöglichen. Früher hatte man eine Illusion von Kontrolle, jetzt muss die Führungskraft die Kontrolle nicht mehr durchdrücken, sondern kann darauf vertrauen, dass die Kontrolle vom System und den Kollegen kommt. Es fällt viel Druck von den Schultern der Führungskräfte ab, wenn sie von Angst zu Vertrauen übergehen und dementsprechende Systeme entwickeln.“ (Frederic Laloux)

Auch in solchen weitgehend selbstkontrollierten Systemen, ist Loslassen selbstverständlich nicht in jeder Situation richtig:

„Manchmal ist es wichtiger, festzuhalten, dran zu bleiben. Vertrauen ohne Kontrolle führt zu blindem Vertrauen. So funktioniert Führung nicht. Genauso ist auch Loslassen immer im Kontext zu sehen: Wer kann wann und wie viel schultern? Wer braucht mehr Nähe, Zuspruch und Unterstützung? Wer läuft am besten allein und braucht viel Eigenverantwortung? Die hohe Kunst liegt darin, hier ein Meister der Unterscheidung zu werden“, so nochmals Petra Martin von Bosch Automotive Electronics.

# Vertrauen ist der Anfang von allem

Selbst in Situationen, in denen es auch in digitalen Zeiten einmal nicht ums Loslassen geht, sondern im Zweifel ums Intervenieren, ist also Vertrauen notwendig, und zwar vor allem Vertrauen in das eigene Unterscheidungsvermögen.

Auch der Formel 1 Rennfahrer muss, um noch einmal auf dieses bereits mehrfach strapazierte Bild zurückzukommen, nicht nur ein hohes Vertrauen in die eigene Steuerungsfähigkeit und das eigene Reaktionsvermögen besitzen. Gleichzeitig muss er auch der eigenen Mannschaft vertrauen, die das Fahrzeug regelmäßig wartet, die bei laufendem Motor und angezogenen Bremsen in Millisekunden einen Reifenwechsel durchführt und ihm ständig Empfehlungen, manchmal sogar Instruktionen durchs Mikrofon durchgibt.

Fasst man all das zusammen, wird deutlich, dass es in digitalen Zeiten tatsächlich immer wichtiger wird, die eigenen Führungsprämissen zu verändern. Das alte „divide et impera“, welches das Management viel zulange bestimmt hat, muss endlich transformiert werden in ein neues Führungsleitbild, das lautet „divide, non impera“.

„Teilen“ (divide) bleibt dabei wichtig, aber nicht im Sinne einer besseren Kontrollmöglichkeit, wie die alten Römer dies praktiziert haben, sondern tatsächlich im Sinne eines „Teilnehmen Lassens“ und einer aktiven Teilnahme an der Entwicklung der Kompetenzen meines Teams wie auch meiner eigenen Fähigkeiten als Führungskraft.

Damit wird aus der alten Kultur des „die Dinge beherrschenden Wollens“ zwangsläufig eine Kultur des „Dienens“ im Sinne eines Dienstes am und für das Unternehmen, für die Mitarbeiter und den Erfolg der Sache, nicht auf unterwürfige Art und Weise, sondern eben agil souverän, so wie wir es in diesem Werk beschrieben haben.

„Wer führt, sollte dienen.“ Klaus Schwab, Präsident, World Economic Forum

Transformationen in diese Richtung zeichnen sich dabei durch etwas aus, was gerade viele Manager hassen: Sie gehen nicht schnell, sondern brauchen Zeit.

Nur wer bereit ist aktiv an sich zu arbeiten, sich in seiner alltäglichen Führungsarbeit immer „selbstbewusst“ zu überprüfen und weiter zu verbessern, dem werden die Veränderungen gelingen, die man sich für das eigene Unternehmen, das eigene Team, die eigene Digitalisierungsarbeit wünscht.

Wer kulturelle Veränderungen im eigenen Unternehmen will, muss also vor allem bei sich selbst beginnen. Kultur ist nichts Abstraktes, sondern etwas, das sich aus konkretem Verhalten ergibt. Vor allem dem eigenen.

Ebenso ist die Digitalisierung kein Zug, der nur in eine Richtung fährt. Welche Richtung die Digitalisierung zukünftig für uns als Menschen, Bürger, Mitarbeiter, Führungskraft einnimmt, welche Vorteile (oder auch Nachteile) sie uns bietet, liegt also vor allem an uns selbst.

Und daran wie wir führen und uns führen lassen.

Beate und Christoph, München im April 2017