Eine Frage der Kultur
# Miteinander „matters“
In den vorherigen Kapiteln haben wir mehrfach auf die Bedeutung einer guten Unternehmenskultur hingewiesen. Und auch darauf, warum es wichtig ist, diese in Zeiten der Digitalisierung noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Warum das so wichtig ist? Dafür gibt es vor allem zwei Gründe:
- Weil digital ausgerichtete Unternehmen die für eine erfolgreiche Transformation notwendigen Motivations- und Veränderungspotenziale nur dann heben können, wenn sie dabei über eine intakte Grundkultur verfügen.
- Und weil sich die Mitarbeiter in den Unternehmen, vom Wertewandel und den neuen Orientierungsmustern der Generation X, Y und Z beflügelt, zunehmend an ideellen statt materiellen Werten orientieren.
Kommunikation, ein faires Miteinander und eine Kultur, die Selbstverwirklichung genauso ermöglicht wie das gemeinsame Erreichen einvernehmlich gesetzter Ziele, treten damit vermehrt in den Vordergrund der Führungsaufgabe.
„Menschen suchen nicht einfach nur einen Job, sondern eine Aufgabe, die ihnen sinnvoll erscheint.“ d.lead
Immer häufiger suchen die Menschen nicht mehr nur einen Job, sondern eine Aufgabe, die ihnen sinnvoll erscheint, die eine gute Balance zwischen Privat- und Berufsleben ermöglicht und mit der sie wachsen und sich entwickeln können. Sie wollen dabei Teil eines Teams sein, um gemeinsam einen Beitrag nicht nur für das Unternehmen, sondern im Idealfall sogar für die Gesellschaft zu leisten. Deshalb suchen sie nicht zuletzt auch nach der richtigen Unternehmenskultur.
# Unternehmenskultur, was ist das?
Unter Unternehmenskultur ist die Summe der gemeinsamen Werte, Normen, Einstellungen und Verhaltensweisen zu verstehen, die den Umgang miteinander im Unternehmen bestimmen.
Die Unternehmenskultur offenbart sich dabei vor allem im Umgang der Menschen innerhalb des Unternehmens mit sich selbst, Mitarbeitern, Kollegen, Kunden, Dienstleistern oder auch der Umwelt. Sie zeigt sich auch darin, wie verbunden wir uns mit dem Unternehmen, unseren Vorgesetzten, Kollegen bzw. Mitarbeitern fühlen. Vor allem aber ist sie weniger das Ergebnis von Selbstbeschwörungen, Kulturworkshops oder CSR-Reports, sondern vielmehr das Ergebnis der Führungsqualitäten aller Manager in Summe.
# Warum Kultur wichtig ist
Auch wenn sich Kultur nur schwer in Zahlen messen lässt, so ist es doch interessant zu sehen, was Unternehmen selbst darüber denken.
Ein Beispiel hierzu hat 2016 Ernst & Young mit der Befragung von 100 Vorstandsmitglieder großer Unternehmen geliefert. Drei Erkenntnisse fallen dabei auf:
- Kultur ist unerlässlich für die Gesamtstrategie und Leistung des Unternehmens: 92% der befragten Vorstände gaben an, Investitionen in die Kultur hätten die finanzielle Leistung des Unternehmens gesteigert. 55% gaben sogar an, der operative Gewinn habe sich durch Investitionen in die Führungs- und Unternehmenskultur um mehr als 10% verbessert.
- Vorstände müssen mehr Verantwortung für die Kultur im Unternehmen übernehmen: Immerhin 51% der befragten Unternehmenslenker denken, der Vorstand sollte mehr Verantwortung für die Erfassung, Gestaltung und Weiterentwicklung der Kultur im eigenen Unternehmen übernehmen. Knapp die Hälfte (47%) geben dann, dass es im eigenen Unternehmen zu wenig Übereinstimmung darüber gebe, wie die eigene Kultur denn aussehen solle.
- Auch für Investoren sind Kulturfragen wichtig: 97% der Vorstände geben an, dass Kulturfragen auch zunehmend im Fokus von Investoren und Fondsmanagern stehe. 83% sagen, dass die Qualität der eigenen Unternehmenskultur sogar explizit deren Entscheidung beeinflusse, in ein Unternehmen zu investieren oder eben nicht.
Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Faktor, der die Notwendigkeit unterstreicht, wieso sich Unternehmen in Zeiten der Digitalisierung mehr denn je mit Fragen der Unternehmenskultur auseinandersetzen sollten:
Seit sich auf dem Arbeitsmarkt die Kräfte verschoben haben und viele Unternehmen um Nachwuchskräfte kämpfen müssen, ist die Unternehmenskultur neben dem Gehalt und der Innovationskraft von Unternehmen der wichtigste Faktor, der ein Unternehmen für Bewerber interessant macht oder eben nicht.
# Herausforderung Kulturarbeit
All das bedeutet keineswegs, dass die Kulturarbeit in Unternehmen ein „Quick Fix“ ist. Im Gegenteil: Eine wirklich gute Unternehmenskultur zu schaffen, die auch potenzielle neue Bewerber überzeugt, ist heute schwerer denn je. Dabei ist es nicht zuletzt die Kultur eines Unternehmens, die eine gute Mitarbeiterbindung („talent retention“) ermöglicht.
„Talent Retention wird immer wichtiger, Recruiting muss ins Zentrum des unternehmerischen Denkens und Schaffens. Wir können gar nicht genug daran arbeiten, uns als Arbeitgeber spannender zu machen.“ Christian Röpke, Geschäftsführer ZEIT ONLINE, academics.de, ze.tt
Die Transparenz, die das Internet z.B. durch Bewerberportale bietet, verwandelt dabei jeglichen Versuch, eine gute Kultur nur vorzutäuschen, unweigerlich in einen Bumerang.
Aber auch das gestiegene Selbstbewusstsein neuer Bewerber sowie bestehender Mitarbeiter und der verstärkte Freiheits- und Selbstverwirklichungsdrang machen es Unternehmen naturgemäß nicht leichter, für eine gute Unternehmenskultur zu sorgen.
Mehr Freiräume und Verantwortung im eigenen Job, flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit von Heimarbeit, eine angenehme Atmosphäre am Arbeitsplatz, ein Betriebskinderkarten und Fitnesscenter auf dem Firmencampus, eine schöne Kantine, kostenlose Getränke am Arbeitsplatz, dies sind heute schon fast „Must haves“ in modernen Unternehmen.
Die damit verbundenen Wohlfühlstrategien reichen aber aus unserer Sicht nicht aus, um tatsächlich eine gute Kultur zu schaffen. Eine gute Unternehmenskultur entsteht vielmehr nur, wenn neben diesen Maßnahmen, die meist nur auf das Individuum ausgerichtet sind, auch das Gefühl eines guten und starken „WIR“ entsteht. Und wenn es Unternehmen gelingt, Mitarbeiter so in die eigenen Wertschöpfungsprozesse und Projekte einzubinden, dass sie das was sie tun, tatsächlich als „sinnvoll“ erleben.
Mit der Frage der Herstellung von „Sinn“ werden wir uns im nächsten Kapitel ausführlicher beschäftigen. Vorher wollen wir jedoch noch anhand zweier Beispiele aufzeigen, was eine gute Unternehmenskultur ausmacht.
# Das Beispiel VAUDE
Als Antje von Dewitz 2009 die Nachfolge ihres Vaters im familieneigenen Unternehmen, dem Outdoor-Ausrüster VAUDE, antrat, hat sie die Weichenstellung dort bewusst anders gestaltet, als es viele herkömmliche Manager tun würden. Der Fokus ihrer ersten Initiativen dort lag nämlich nicht nur auf einer Optimierung von Strukturen und Prozessen, sondern vor allem auch auf einer Veränderung und Weiterentwicklung der Unternehmenskultur. Die Grundlagen dafür hatte bereits ihr Vater Albrecht von Dewitz gelegt, der bereits Wert auf ökologische und soziale Aspekte legte, doch Antje von Dewitz verankerte diese Themen im ganzen Unternehmen und schuf eine zukunftsorientierte Kultur.
Gemeinsam mit allen beteiligten Stabsstellen hat Frau von Dewitz dabei das 500 Mitarbeiter starke Unternehmen vor allem auf einen übergreifenden Wert ausgerichtet: Nachhaltigkeit. VAUDE ist heute Mitglied der Fair Wear Foundation, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern, zumeist in Asien einsetzt. VAUDE arbeitet seit 2001 nach dem strengen Umweltstandard bluesign® und wurde als erstes Outdoor-Unternehmen nach EMAS ökozertifiziert. Auch der Firmensitz in Tettnang im Bodenseekreis ist seit 2012 klimaneutral.
Nachhaltigkeit ist jedoch nicht nur ein Wert, der nach außen gelebt wird, sondern der vielmehr auch nach innen gilt. Eines der wesentlichen Elemente der veränderten Unternehmenskultur von VAUDE war daher auch die Ausweitung familienfreundlicher Arbeitsbedingungen. Jeder zweite Beschäftigte arbeitet dort inzwischen Teilzeit, wobei es viele unterschiedliche Modelle gibt, die auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt sind. Viele Mitarbeiter nutzen auch Homeoffice oder Jobsharing. In der firmeneigenen Kita ist der Nachwuchs in nächster Nähe zum Arbeitsplatz gut betreut. Frau von Dewitz selbst verlässt als Mutter von vier Kindern, wenn möglich, um 17 Uhr das Unternehmen, um sich der Familie zu widmen.
„Für uns zählt nachhaltiges Wirtschaften in Balance mit Mensch und Natur. Ich freue mich, wenn wir zeigen können, dass eine solche Werteorientierung nicht nur sinnstiftend und erfüllend für alle Beteiligten ist, sondern auch wirtschaftlich erfolgreich und innovationsfördernd.“ Antje von Dewitz, CEO VAUDE
Auch im Hinblick auf die internen Organisationsstrukturen versucht man nachhaltig zu agieren. Wichtige Entscheidungen werden im Team erarbeitet und verabschiedet. Das ersetzt häufig langwierige Kommunikations- und Kontrollprozesse im Nachgang. Wie Frau von Dewitz jüngst in einem Interview betonte, sind dadurch Konflikte im Unternehmen zwar nicht verschwunden, sie werden aber offener ausgetragenen und daher auch schneller und effizienter gelöst – ein Grundprinzip, das man übrigens auch in anderen Hochleistungsorganisationen, z.B. in erfolgreichen Digital-Start-ups und bei einigen Unternehmensberatungen, findet.
# Das Beispiel Twitter
Selbstverständlich gibt es auch in explizit digitalen Umfeldern Beispiele, die zeigen, wie wichtig eine wirklich gute Unternehmenskultur jenseits der reinen Fassade nach außen wirklich ist. Twitter ist so ein Beispiel. Anders als viele andere Start-up-Unternehmen hat Twitter unter dem Motto „TeamTeam“ von Anfang an mehr in ein wirkliches Teambuilding investiert als in oberflächliche Wohlfühlmaßnahmen. Da das Unternehmen überproportional schnell wächst, ist es eine große Herausforderung, die Unternehmenskultur, einen gemeinsamen Spirit, zu erhalten.
Statt große Events zu veranstalten, auf denen dann doch immer dieselben Leute Grüppchen bilden und die niemals den Geschmack aller treffen können, hat sich Twitter entschieden, auf der eigenen Kommunikationsplattform Gruppen einzurichten, in denen sich die Mitarbeiter über persönliche Interessen, wie z.B. Wandern, Klettern o.Ä. verbinden können.
So wie sich der Charakter von Menschen im Sturm zeigt, so wird die Stärke der Unternehmenskultur in der Krise deutlich: Nachdem der Kurznachrichtendienst Twitter bereits 2015 8% der Jobs gestrichen hatte, erfolgte im Oktober 2016 die Entlassung weiterer 9% der Mitarbeiter.
Doch statt der üblichen Wut und Vorwürfe der Entlassenen, verabschiedeten sich diese – natürlich via Twitter – auf eine berührende Art und Weise von ihrem Arbeitsgeber und den Kollegen. Es ist vor allem von Stolz zu lesen und der Dankbarkeit für die gesammelten Erfahrungen, das Lernen und dafür, überhaupt dabei gewesen zu sein.
Offenbar hat es Twitter geschafft, den eigenen Mitarbeitern nicht nur die Notwendigkeit dieses Schrittes so zu erklären, dass sie die Entscheidung annehmen konnten, trotz persönlich belastender Konsequenzen für den Einzelnen. Vielmehr hat Twitter schon vorher durch seine gute Kultur einen Spirit geschaffen, der selbst in Krisensituationen noch trägt.
VAUDE und Twitter sind beides Beispiele dafür, was unter einer guten Unternehmenskultur zu verstehen ist. Sie zeigen dabei auch auf, dass es jenseits reiner Fassadenstrategien für Unternehmen, auch und gerade in Zeiten der Digitalisierung, immer wichtiger wird, Räume zu schaffen, die ein „sinnerfülltes Arbeiten“ für ihre Mitarbeiter ermöglichen.
„Sensemaking“, das ist es, worum es heute mehr denn je in der Führungsarbeit geht.